Anlass für diesen Beitrag ist ein Gespräch mit einer Patientin, die die Empfehlung bekam, keine fluoridierte Zahncreme mehr zu verwenden, da sie ja an einer Schilddrüsenunterfunktion leide und das Fluorid aus der Zahnpasta diese Erkrankung verschlechtere. Die Patientin befolgte diesen Rat, leidet seitdem aber an empfindlichen Zahnhälsen, ein Problem, dass sie zuvor mit ihrer gewohnten fluoridhaltigen Zahnpasta gut im Griff hatte. Wie ist das aus zahnärztlicher Sicht zu bewerten? Gibt es einen Konflikt zwischen einer Schilddrüsenerkrankung und moderner Zahnpflege mit Fluoriden?
Wer die Stichworte "Fluorid" und "Schilddrüse" in das Fenster seines Browsers eingibt, wird auf "naturheilkundlich ausgerichteten Seiten" eine Unzahl von Ratschlägen zur Vermeidung von Fluoridaufnahme bei einer Unterfunktion der Schilddrüse erhalten. Es wird behauptet, dass eine Aufnahme von Fluorid die Erkrankung verschlimmert bzw. überhaupt erst entstehen lässt . Auf den Informationsseiten von Endokrinologen bzw. Nuklearmedizinern und den entsprechenden Fachgesellschaften, die sich mit Erkrankungen der Schilddrüse befassen, fehlen Hinweise zum Fluorid völlig. Aus diesem Grund kann es im Internet zu einer
verzerrten Wahrnehmung des Lesers
kommen, da er im "Netz" nur auf Informationen stößt, die vor Fluorid warnen. Ich versuche hier eine Einschätzung aus "schulmedizinischer Sicht" zu geben.
Die Schilddrüse
ist eine Drüse, deren Hormone eine zentrale Rolle in der Steuerung des Stoffwechsels einnehmen. Die Schilddrüse benötig für Ihre Funktion das Spurenelement Jod. Die Schilddrüsenhormone freies T3
(Trijodthyronin) und freies T4
(Tetrajodthyronin = Thyroxin) ereichen alle Zellen des Körpers und wirken insgesamt stoffwechselanregend. Diese Hormone haben zudem eine Besonderheit: In ihrem Zentrum befinden sich drei bzw. vierJodatome, die zum Aufbau des Hormons unverzichtbar sind. Jod ist also ein lebenswichtiges Spurenelement. Es wird als Jodid (Salz) aus der Nahrung aufgenommen und in der der Schilddrüse von den sog. "Follikelepithelzellen" aus dem Blutplasma aktiv in die Zelle geschleust.
So wie Jodid das Salz des Elementes Iod ist, ist auch Fluorid
das Salz des Elementes Fluor. Beide Elemente gehören zur 7. Hauptgruppe des Periodensystems, der Halogengruppe (= Salzbildner) und sind sehr reaktionsfreudig, sodass sie in der Natur nie elementar, sondern nur als Salz oder in komplexen Verbindungen existieren. Der Masse nach geordnet finden sich dort Fluor, Chlor, Brom und Jod. Fluorid ist kein essentielles Spurenelement, der Körper "braucht" es nicht zum Überleben. Die segensreiche kariesreduzierende Wirkung des Fluorides bei Kontakt mit der Zahnoberfläche beruht auf der Herabsetzung der Säurelöslichkeit des Apatitkristalles, also des Zahnmineralgefüges.
"Verwechselt die Schilddrüse eventuell Fluorid mit Jodid, weil diese so ähnlich sind?"
Nein. Sie sind nicht ähnlich. Das Jodid wird durch die Follikelzellen der Schilddrüse mit einem speziellen Transportsystem in der Zellmembran aktiv aufgenommen (Natrium-Iodid-Symporter (NIS)) . Nur monovalente Anionen mit einem ähnlichen
Ionenvolumen
wie Iodid (etwa 4×10−23 cm3) konkurrieren mit diesem am Natrium-Iodid-Symporter. Das sind Bromid, Chlorat, Bromat, Periodat, Perchlorat, Thiocyanat, Selenocyanat, Nitrat und Tetrafluoroborat. Fluorid hat ein anderes Ionenvolumen. Sehen Sie sich die Stellung von Fluorid im Periodensystem an: Es ist dem Jodid relativ unähnlich und passt deshalb nicht in das auf Jod spezialisierte Transportsystem der Schilddrüse. Weil bei der Verdauung von Kohl, Radieschen, Kresse , Süßkartoffeln und ähnlichen Nahrungsmitteln im Stoffwechsel Thiocyanate freigesetzt werden, die mit dem Jodid um einen "Platz im Taxi" konkurrieren könnten, sollten Menschen mit einer Schilddrüsenunterfunktion auf eine ausreichende Jodidversorgung achten (jodiertes Speisesalz), damit die Schilddrüse dennoch genug Jod "einsammeln" kann.
"Aber ist
Fluorid nicht sowiso sehr giftig?"
"Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei.
“
Diese dem mittelalterlichen Arzt Paracelsus zugeschriebene Erkenntnis zur Dosisabhängigkeit
von Wirkungen verschiedenster Substanzen auf den menschlichen Körper ist heute allgemeines Wissen und bildete in der damaligen Zeit die Grundlage für die Abkehr vom "magischen Denken". Beim "magischen Denken" wird vermutet, dass die Wirkung eines Stoffes durch seine "Wesenheit" bestimmt ist. Unabhängig von seiner Menge, seiner Konzentration oder der jeweiligen medizinischen Situation soll dieser Stoff eine seiner "ideellen Stofflichkeit" entsprechende einheitliche Wirkung (böse oder heilsam) haben. Überbleibsel dieses Denkens finden sich in der Homöopathie, bei der auch die Übertragung einer "geistartigen" Wirkung oder Information völlig unabhängig von der tatsächlichen Konzentration eines Stoffes vermutet wird. Die Vorstellung, dass ein (magisch aufbereiteter) Tropfen Bier die gleiche Wirkung entfalten könnte wie der Genuss einer ganzen Kiste Bier, wird heutzutage vermutlich nicht nur "Wissenschaftlern" seltsam vorkommen. Heutzutage wissen wir, dass die Wirkung eines Stoffes dosis- oder konzentrationsabhängig ist.
Wenn also eine Wirkung des Fluorid-Ions im Körper vermutet wird, muss über real messbare Mengen
diskutiert werden. In welcher Konzentration hat nun das "Spurenelement" Fluorid
eine negative Auswirkung auf den menschlichen Körper? Unstreitig ist, das extrem hohe Dosen an Fluorid (wie überhaupt jedes Salzes) zu Vergiftungserscheinungen (Übelkeit, Erbrechen) führen können. Es handelt sich dabei um ein streng dosisabhängiges Phänomen. Eine permanente niederschwellige
Überdosierung mit Fluorid kann im Kindesalter zu weißen Verfärbungen am Zahnschmelz führen, da die schmelzbildenden Zellen während der Zahnentwicklung gestört werden (=> Fluorose). Die zahnschmelzbildenden Zellen im Kiefer von Kindern sind die für Fluorid empfindlichsten Zellen des menschlichen Körpers. Aus diesem Grunde gibt es in der EU seit der 70er Jahren feste Obergrenzen
(1500 ppm bzw. 0,15%) für die Fluoridkonzentration in Zahnpasten und noch einmal abgesenkte Werte für Kinderzahnpasten (1000 ppm bzw. 0,1% und kleinere Tubengrößen). Diese Konzentrationen ermöglichen das gefahrlose Verschlucken einer ganzen Tube Zahnpasta! Der Gebrauch von fluoridierter Zahnpasta ist also für Normalverbraucher zahnmedizinisch sinnvoll und vollkommen gefahrlos.
Was aber ist mit Menschen, die an einer Unterfunktion der Schilddrüse leiden? Gibt es hier Erkenntnisse über eine besondere Problematik bei der Verwendung von üblichen Zahnpflegeprodukten?
Eine Schilddrüsenunterfuktion
zeichnet sich durch eine zu geringe Produktion der lebenswichtigen Schilddrüsenhormone aus. Es kommt insgesamt zu einer Verlangsamung des körpereigenen Stoffwechsels. Typische körperliche Zeichen einer Unterfunktion der Schilddrüse können z. B. vermehrtes Frieren, Gewichtszunahme, Müdigkeit, kalte und trockene Haut oder Haarausfall sein. Die Erkrankung betrifft häufiger Frauen im mittleren Lebensalter. Die häufigste Ursache ist ein fehlgeleitetes Immunsystem, das Antikörper gegen die Zellen der eigenen Schilddrüse produziert und diese so schleichend zerstört. Bei dieser sogenannten "Hashimoto-Thyreoditis" (=> Autoimmunerkrankung)
kann die Schilddrüse aufgrund der Schäden im Drüsengewebe nicht mehr genug Hormone bilden. Aus diesem Grunde werden diesen Menschen mit der Gabe von Schilddrüsenhormonen (L-Thyroxin) behandelt. Dabei ist eine genaue Einstellung der Medikation von entscheidender Bedeutung, da auch ein Zuviel an Schilddrüsenhormonen schädlich für den Körper ist.
Auch bei chronischem Jodmangel
im Körper kann es zu einer Unterfunktion der Schilddrüse kommen, da der zentrale "Baustoff", das Jod, fehlt. Diese Erkrankung war in "Jodmangelgebieten" früher verbreitet und führte zu einer chronischen Vergrößerung der Schilddrüse (Kropf), da sich diese als Reaktion auf den Jodmangel vergrößerte. Mit der Verfügbarkeit von jodiertem Speisesalz
hat sich das Problem in Europa erledigt. Grundsätzlich sollten Patienten mit Schilddrüsenunterfunktion auf eine ausreichende Jodversorgung achten.
Bei zu hoher Iodkonzentration im Körper (Jodüberschuss) begrenzen zwei verschiedene Mechanismen die Produktion der Schilddrüsenhormone (durch Hemmung der Aufnahme von Jod in die Schilddrüse und Verminderung der Proteinsynthese für die Hormone). Im Normalfall (gesunde Schilddrüse) ist die Hormonproduktion bei ausreichender Iodversorgung also stabil.
Was hat das nun alles mit Fluorid zu tun, wo doch Iod der zentrale Baustoff der Schilddrüsenhormone ist?
Eigentlich nichts. Es gibt allerdings Tierversuchsstudien, die zeigen, das extrem hohe Fluoriddosen (z. B. das 50fache der Konzentration in fluoridierten Trinkwasser = 50 mg pro Liter) die Schilddrüse und das Gehirn von neugeborenen Ratten schädigen. Es ist also möglich, die Schilddrüse und das Gehirn von jungen Ratten mit extrem hohen Fluoriddosen zu schädigen. Solche Konzentrationen werden aber niemals durch Ernährung oder den Gebrauch fluoridierter Zahnpflegeprodukte erreicht. Das hat auch keiner der Forscher behauptet. Dass auch im allgemeinen hohe Salzdosen den Körper schädigen, weiß jeder, der schon einmal einen Film über Schiffbrüchige gesehen hat, die Meerwasser trinken. Überlegen Sie, welches Nahrungs- und Genußmittel Sie dauerhaft in der 50fachen "Normalmenge" zu sich nehmen könnten, ohne langfristig Schäden an Ihrem Körper anzurichten. Mir fällt keines ein. Andersherum gedacht: Bloß weil eine krasse Überdosierung auf die Dauer schädlich ist, heißt es noch nicht, dass auch Spuren dieses Nahrungsmittels den gleichen Schaden anrichten. Ein Krümel Schokolade macht nicht dick und ein Tropfen Wein nicht betrunken.
Keine der relevanten ärztlichen Fachgesellschaften rät Menschen mit Schilddrüsenunterfunktion von dem Gebrauch fluoridierter Zahnpflegeprodukte ab. Es gibt auch keine Hinweise über negative Auswirkungen eines Konsums fluoridhaltiger Lebensmittel wie Meeresfisch oder Schwarztee. Im Gegenteil, diese Lebensmittel werden wegen ihres Jodgehaltes sogar empfohlen.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE)
hat Richtwerte (s. u.) für eine angemessene tägliche Fluoridzufuhr herausgegeben. Durchschnittlich nehmen Erwachsene in Deutschland 0,4-1,5 mg Fluorid aus der Nahrung zu sich, also weniger als von der DGE empfohlen (Männer 3,8 mg pro Tag, Frauen 3,1 mg pro Tag). Dabei sind folgende mögliche Fluoridquellen zu berücksichtigen:
- In Deutschland gibt es keine Trinkwasserfluoridierung, deshalb können Informationen aus anderen Ländern mit Trinkwasserfluoridierung eventuell für Verwirrung sorgen.
- Beim örtlichen Wasserwerk kann der Fluoridgehalt des Trinkwassers
der Gemeinde abgefragt werden. In der Regel finden sich in Deutschland bis auf wenige vulkanische Böden (z. B.: in der Eifel) nur sehr geringe Fluoridmengen (< 0,3 mg/l) im Trinkwasser. Im Landkreis Werra-Meißner liegen die Werte bei "Null". Der Fluoridgehalt des Trinkwassers in Deutschland ist gesetzlich auf maximal 1,5 mg begrenzt.
- Beim regelmäßigen Konsum von Mineralwasser
kann es sinnvoll sein, den Fluoridgehalt seiner Lieblingssorte zu prüfen. Relevante höhere Fluoridgehalte können bei sogenannten "Heilwässern" vorkommen. Heilwässer sind in der Regel für Kinder nicht geeignet.
- Schwarzer oder grüner Tee
enthalten höhere Mengen an Fluorid, ein Liter Tee enthält durchschnittlich 1-2 mg Fluorid. In Einzelfällen (Tee aus vulkanischen Böden) kann der Gehalt auch höher sein (bis zu 5 mg pro Liter).
- Meerestiere
enthalten mehr Fluorid als Landtiere (bis 0,2 mg pro 100g), da Fluorid im Meerwasser in einer Konzentration von 1,2 mg/l vorliegt. Wer täglich Meeresfisch, Aal, Krabben, Algenprodukte und ähnliches in größeren Mengen isst, sollte dies berücksichtigen.
- Fluoridiertes Speisesalz: Da die durchschnittliche Fluoridaufnahme aus der Nahrung und Getränken in Deutschland in der Regel geringer sind als die Empfehlungen der DGE, kann mit dem Kauf von fluoridiertem Speisesalz die lokale Benetzung der Zähne mit dem Spurenelement verbessert werden. Es enthält 250-310 mg Fluorid pro Kilo Salz. Bei der gewerblichen Fertigung von Lebensmitteln ist in Deutschland der Zusatz von Fluorid nicht erlaubt, deshalb nimmt der Verbraucher natürlich nur Fluorid aus selbst gesalzenen Lebensmitteln zu sich, falls er fluoridiertes Speisesalz kauft.
- Fluoridierte Zahnpflegeprodukte zum täglichen Gebrauch: Außer bei Kleinkindern, die möglicherweise Zahnpasta "essen", werden diese Produkte normalerweise nur oberflächlich angewendet und ca. 90% davon wieder ausgespuckt. Wenn ein Erwachsener zum Beispiel eine doppelt erbsengroße Menge Zahnpasta (ca. 0,5 g) mit einem maximalen Fluoridgehalt von 0,15% in den Mund nimmt, wird er von den darin enthaltenen 0,75 mg Fluorid vermutlich 90% ausspucken und demnach 0,075 mg verschlucken. Bei zweimaligem Zähne bürsten am Tag würde so eine Fluoridaufnahme von ca. 0,5 mg am Tag resultieren. Das entspricht etwa einem viertel bis halben Liter schwarzem Tee.
Bitte beachten Sie die geringen empfohlenen Fluoridaufnahmemenge für Säuglinge und Kleinkinder, die bedingt durch ihr geringes Körpergewicht die Verwendung altersgerechter Zahnpflegeprodukte erforderlich machen. Lesen Sie das Kapitel "Welche Zahnpasta?" auf unserer Hauptseite!
Selbstverständlich sind fluoridierte Mundspüllösungen kein Getränk. Auch höher konzentrierte Fluoridgele sollten niemals verschluckt werden. Grundsätzlich entfalten alle diese Produkte ihre Wirkung durch den lokalen Kontakt des Fluorides mit der Zahnoberfläche (sog. "topische Anwendung"). Eine systemische Aufnahme durch Verschlucken ist sinnlos und wird auch nicht angestrebt. Aus dem selben Grund wird heute auch von der Einnahme fluoridhaltiger Tabletten ("D-Fluoretten") für Kinder abgeraten. Der lokale Effekt von Zahnpasta oder Speisesalz ist wirksamer.
Beispielhafte Kalkulation der täglichen Fluoridaufnahme in mg für mich selbst:
Trinkwasser 2 Liter 0,0 (Trinkwasser Witzenhausen: kein Fluorid enthalten)
Schwarztee 1 Liter 2,0
Nahrung ca. 0,25
Fluoridiertes Salz 1,5g 0,375
Zähne putzen 3x Erbse 0,38 (Ich verwende nur eine erbsengroße Menge Zahnpasta, putze aber 3 x)
Gesamt ca.
3,005 mg Fluorid pro Tag,
etwas weniger als die empfohlene Menge von 3,8 mg pro Tag