Bakterien sind unsere ständigen Begleiter und gehören zu unserer "normalen" Umwelt. Im Mund werden sie nur dann zum Problem, wenn sie sich über einen längeren Zeitraum zu einem dicken und organisierten Belag entwickelt haben, dem sogenannten "Biofilm". Dann fangen Sie an, Säure auf unserer Zahnoberfläche zu konzentrieren und damit die Zahnhartsubstanz zu beschädigen, oder Sie greifen die Gewebestrukturen des Zahnhalteapparates an, was zu einer Entzündung und im schlechtesten Fall zu Knochenabbau führt. Der Biofilm ist klebrig und wird durch Essen, Trinken oder einfache Zungenbewegungen nicht entfernt.
Diese Probleme lassen sich in der Regel durch die häusliche Mundhygiene vermeiden. Wird der Biofilm mechanisch zerstört, verlieren die nun vereinzelten Bakterien ihre krank machende Wirkung. Einzeln oder in kleinen unorganisierten Ansammlungen sind sie harmlos und gehören zur normalen "Mundflora". Diese unorganisierten Bakterien werden auch "planktonische Bakterien" genannt, weil sie sich wie das Plankton im Meer frei verteilen und nicht ortsständig sind.
Leider hat die tägliche Mundhygiene in der Praxis ihre Tücken: Es ist schwierig, den Biofilm vollständig zu entfernen. Die Bakterien organisieren sich permanent neu und machen keine Pause. Es verbleiben
Biofilme in Nischen und "unterputzten" Bereichen. Das sind insbesondere:
- alle auf der Mundinnenseite und weit hinten liegende Bereiche
- die Außenseiten der letzten oberen Zähne
- die Zahnzwischenräume
- die "Schlagschatten" um verschachtelt stehende Zähne
- der Zahnfleischsaum
- die sogenannten "Resttaschen" nach einer Zahnbetterkrankung ("Parodontitis")
Um den Wirkungsgrad der häuslichen Mundhygiene zu verbessern, sind verschiedene Lösungsansätze entwickelt worden:
- verbessertes Zahnbürstendesign
- Zahnseide, Zahnzwischenraumbürsten, Zwischenraum-Sticks, Zungenschaber
- weiterentwickelte Putztechniken (Bass-Technik, Solo-Technik)
- verbesserte Zahnpasten (spezielle Putzkörper, Tenside, Fluoride, antibakteriell wirksame Stoffe u v. m.)
- elektrisch betriebene Zahnbürsten (oszillierend-rotierend, schallbetrieben)
- Mundspüllösungen mit schützenden oder antibakteriellen Wirkungen
- vollautomatische schallbetriebene Putzsysteme
- antibakterielle Systeme auf Basis von Farbstoff-Licht-Kombinationen => antibakterielle photodynamische Therapie (aPDT)
Insbesondere die letzten drei Lösungsansätze zielen auf die Verbesserung der Mundhygiene bei Menschen ab, die nicht oder nicht mehr in der Lage sind, eine kompetente Mundhygiene zu erlernen.
Unsere alternde und zunehmend auch im hohen Alter bezahnte Gesellschaft steuert auf einen enormen Bedarf an unterstützenden Maßnahmen zur Mundhygiene zu. Diese Hilfen können weder von Angehörigen, Pflegepersonal oder medizinischen Dienstleistern in hinreichendem Maße erbracht werden. Es gibt also auch ein allgemeines Interesse an "vollautomatischen" Reinigungs- oder Putzsystemen. Es handelt sich keineswegs nur um "Lifestyle"-Produkte für "bequeme Menschen".
Im nachfolgenden wird "Lumoral", ein neues Gerät zur antibakteriellen photodynamische Therapie (aPDT) vorgestellt.
Das Prinzip der antibakteriellen photodynamische Therapie (aPDT)
Die Grundidee der photodynamischen Desinfektion ist es, Bakterien durch die
Kombination von einem Farbstoff und einem starken Licht betimmter Wellenlänge abzutöten. Hierzu werden die Bakterien im Mund mit einem speziellen Farbstoff angefärbt. Nach der Anfärbung werden die so markierten Zellwände der Bakterien mit einem starken Licht bestrahlt, das von dem Farbstoff besonders gut absorbiert wird. Durch diese Absorption erwärmt sich der Farbstoff und löst eine chemische Reaktion aus, die die Bakterienwand zerstört und die Bakterie abtötet. Das Licht und der Farbstoff sind für die menschlichen Zellen ungefährlich, ihre Wirkung entfalten sie erst in ihrer Kombination.
In der Zahnheilkunde wird schon lange versucht aggressive Bakterien, die in den Zahnfleischtaschen leben und Körpergewebe zerstören, dauerhaft zu reduzieren. Bedingt durch die besondere Ökologie der Zahnfleischtasche selektieren sich dort mit zunehmender Taschentiefe und Entzündungsgrad des Zahnhalteapparates Eiweiß fressende und Sauerstoff meidende Bakterienspezies. Da sie unterhalb des Zahnfleischsaumes leben, sind sie vor der Mundhygiene recht gut geschützt und können sich so ungehindert vermehren und tiefer in das Gewebe vordringen.
Bringt man einen flüssigen Farbstoff in die Zahnfleischtaschen sowie die Nischen der Zahnzwischenräume ein und färbt somit die Bakterienwände an, ist es möglich, durch das Gewebe hindurch diese mit einem Laser oder einer Lichtdiode zu bestrahlen, wenn das Weichgewebe hinreichend durchlässig für das Licht ist.
Die durch das spezielle Licht bedingte "Anregung" des Farbstoffes führt zu einer chemischen Reaktion mit im Gewebe vorhandenem Sauerstoff, bei der sogenannter "Singulettsauerstoff" freigesetzt wird, der am Ort der Reaktion die Bakterienmembran und damit auch die Bakterie zerstört.
Als Vorteil des Verfahrens gilt, dass die Wirkung lokal sehr begrenzt ist (0,1 µm) und der Farbstoff selber völlig harmlos ist. Auch das Licht ist für das Gewebe unbedenklich. Die Methode führt zu keinerlei Resistenzbildungen und funktioniert auch bei Bakterien, die bereits gegen eine Reihe von Antibiotika resistent sind.
https://de.wikipedia.org/wiki/Antibakterielle_photodynamische_Therapie
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6410618/
-
Bei der Laseraktivierung wird das Licht durch eine 0,4 mm dünne Glasfaser in die Tasche geführt.
Button
-
Toluidinblau ist tiefblau und sieht im Mund zunächst unschön aus.
Button
-
Beispiel für ein rotes Diodenlicht zur photodynamischen Therapie
Button
-
Mit der Lichtdiode können die Zahnzwischenräume und die Zahnfleischtasche beleuchtet werden.
Button
Mehr anzeigen
Anwendungen der antibakteriellen photodynamische Therapie (aPDT) in der Zahnheilkunde
Die ersten Anwendungen der aPDT verwendeten eine Kombination aus einem Laser geringer Leistung (Softlaser) und dem Farbstoff Toluidinblau. Im Rahmen eine Parodontitisbehandlung oder auch im Nachgang einer solchen wurde der Farbstoff in die Zahnfleischtaschen eingebracht und nachfolgend mit einem Softlaser bestrahlt. Hierdurch sollten vorhandene Restkeime abgetötet und der Heilungsprozess des Gewebes gefördert werden.
Mit dem Aufkommen leistungsstärkerer Leuchtdioden wurden nachfolgend auch Systeme mit Diodenlicht entwickelt, die einen relativ großen Bereich beleuchten und durch das Gewebe hindurch strahlen sollten.
All diesen Systemen ist gemeinsam, dass die
Anwendung in der Zahnarztpraxis erfolgt und nach dem Anfärben der Taschen eine Region nach der anderen bestrahlt werden muss. Das erfordert Zeit und verursacht demzufolge auch höhere Kosten. Die Häufigkeit der Anwendung pro Patient beschränkt sich deshalb auf wenige Sitzungen im Jahr.
Die Erfahrungen mit diesen aPDT-Systemen in unserer Praxis waren eher ernüchternd. Bei sorgfältiger Behandlung und guter häuslicher Mitarbeit des Patienten waren die Ergebnisse mit und ohne aPDT gut. Die Taschendesinfektion zeigte jedoch keine anhaltend besseren Ergebnisse. Eine Erklärung dafür dürfte die dynamische Vermehrung und Verteilung der Bakterien im Mund sein, die erzielte positive Ergebnisse schnell zunichte machen können. Eine noch so gründliche
einmalige Desinfektion, mit welchem System auch immer, kann bei einer chronischen Erkrankung wie der Parodontitis (=> Zahnfleischentzündung mit Knochenschwund) nicht zu einer stabilen dauerhaften Verbesserung der Mundgesundheit führen. Zudem besteht bei tieferen Taschen immer das Problem eines geringeren Sauerstoffgehaltes im Gewebe, wodurch die Freisetzung von Singulett-Sauerstoff, dem Wirkmedium der aPDT, begrenzt wird.
Für
dauerhafte Verbesserungen sind unserer Erfahrung nach die gute mechanische Entfernung des Biofilms in der täglichen Mundhygiene, die regelmäßige professionelle Zahnreinigung der Zahnfleischtaschen und weitere gesundheitsfördernde Maßnahmen (gesunde Ernährung, Rauchstopp) entscheidend. Zur Unterstützung können im Einzelfall tägliche desinfizierende Zusatzmaßnahmen (antibakterielle Zahnpasta, antibakterielle Mundspülungen) sinnvoll sein. Der regelmäßige Gebrauch dieser Zusatzstoffe muss allerdings immer in seinem Nutzen kritisch abgewogen werden.
Verallgemeinernd lässt sich sagen: Desto regelmäßiger eine positive Intervention erfolgt (idealerweise täglich), desto größer ist ihr Potential bei der Therapie chronischer Erkrankungen. Einmal "Sport treiben" oder einen Tag "fasten" im Vierteljahr hilft ja auch nicht bei chronischem Übergewicht. Aus diesem Grund finde ich das "Lumoral"-System mit seiner Möglichkeit zur täglichen Anwendung zumindest in der Theorie schon einmal interessant.
aPDT zu Hause: Das Lumoral-System
-
Ein Tablette Indocyaningrün wird in 30 ml Wasser aufgelöst.
Button
-
Das Lumoral-Mundstück mit 52 LED-Leuchten (Ober- und Unterseite).
Button
-
Das von den Leuchtdioden ausgestrahlte Blaulicht wird vom Indocyanin absorbiert.
Button
-
Das Mundstück wird 10 Minuten im Mund gehalten und schaltet sich dann automatisch aus.
Button
Mehr anzeigen
Die ersten
Ergebnisse der Universität Helsinki
zeigen die Möglichkeit der Verminderung von Zahnfleischbluten, der Reduktion des Biofilms und Abflachung der Resttaschen bei Patienten mit chronischer Parodontitis, die eine nicht chirurgische Zahnfleischbehandlung erhielten. Allerdings befinden sich die Studien noch in einem frühen Stadium, die Anzahl der Testpersonen ist gering und es sind erst Ergebnisse nach drei- bzw. sechsmonatiger Anwendung veröffentlicht. Dennoch zeigen sich signifikante Verbesserungen der Befunde gegenüber der Testgruppe ohne aPDT-Anwendung.
Erfolgsdefinition: Um den Erfolg einer Behandlung zu testen, werden verschiedene Erfolgskriterien definiert und dann im Verlauf der Behandlung gemessen. In der Helsinki-Studie wurde nach einer nicht chirurgischen Reinigung und Glättung der Wurzeloberflächen die Patienten in der Nachsorge beobachtet. Die Testgruppe wendete vor der häuslichen Mundhygiene das Lumoral-System an, die Kontrollgruppe führte nur die häusliche Mundhygiene durch.
Ein wichtiges Ziel der zahnärztlichen Behandlung ist die
Abflachung der Taschen in unbedenkliche Werte von 3,5 mm oder weniger. Ein weiteres Ziel ist, dass sich bei einer Sondierung des Taschengrundes (= der tiefsten Stelle) mit einer stumpfen Kugelsonde
keine Blutung (BOP = Bleeding on Probing) zeigt, was ein Zeichen für stabile Gewebeverhältnisse und die Abwesenheit einer Entzündung ist. Nicht alle Patienten können erfolgreich behandelt werden. Ein drittes Ziel ist es, bei einem möglichst großen
Anteil der Behandelten eine positive Reaktion auf die Therapie zu erzielen. Das gelang mit dem Lumoral-System deutlich öfter.
Die untenstehenden Abbildungen (größere Abbildungen am Ende des Artikels) zeigen die Verbesserung des Therapieerfolges durch die zusätzliche Anwendung der aPDT mit dem Lumoral-System.
Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage der Firma:
https://www.lumoral.de/
Das Lumoral-System bringt zwei grundsätzliche Neuerungen gegenüber den bisherigen Methoden, die bezüglich der Wirksamkeit des aPDT-Verfahrens einen Fortschritt darstellen:
- Das Verfahren ermöglicht durch die "Rundumbestrahlung" eine ausgesprochen
lange Belichtungszeit von 10 Minuten, in schweren Fällen auch bis zu 30 Minuten. Das war bei der Bestrahlung im Zahnarztstuhl so nicht möglich, hier lagen die Bestrahlungszeiten pro Nische im Bereich unter einer Minute.
- Das Verfahren ermöglicht durch die ggf. zwei mal tägliche Anwendung zu Hause eine
viel höhere Therapiefrequenz als bisherige Verfahren. Hierdurch wird ein täglich aufeinander aufbauender Desinfektionsfortschritt ermöglicht, was mit den bisherigen Verfahren nicht möglich war.
Die "Selbstbehandlung" wird wie folgt durchgeführt:
- Eine Tablette mit dem Wirkstoff Indocyaningrün wird in 30 ml Wasser aufgelöst.
- Mit der Farbstofflösung wird eine Minute intensiv gespült und diese dann ausgespuckt. Im Gegensatz zu Toluidinblau ist die Färbung im Mund eher diskret.
- Das Mundstück wird eingesetzt und eingeschaltet. Es leuchtet 10 Minuten und schaltet sich dann automatisch aus. In besonders schweren Fällen kann die Belichtung auch zwei Mal wiederholt werden.
- Danach sollen die Zähne gründlich geputzt werden. Unmittelbar vor der Behandlung sollte nicht geputzt werden, damit Zahnpastarückstände nicht das Einwirken oder die Bestrahlung des Farbstoffes behindern.
- Mit einem Zeitaufwand von 15-20 Minuten muss gerechnet werden: Tablette auflösen, 1 Minute spülen, ausspucken im Bad, 10 Minuten Belichtung, Schiene abspülen und trocknen, Gerät wegräumen und ggf. den Akku laden.
In meinem "Selbstversuch" gestaltete sich die Umsetzung der Methode einfach. Die Spüllösung schmeckt leicht nach Pfefferminze und färbt nicht nur Beläge, sondern auch den Zungenrücken grün. Nach dem Aktivieren des Mundstückes ist im Mund eine deutliche Wärmeentwicklung spürbar, die ich aber nicht als unangenehm empfunden habe. Das Handling des Akkus mit der Ladung über USB ist unkompliziert und intuitiv.
Für Menschen mit deutlichen gesundheitlichen Einschränkungen ist die Unterstützung durch eine weitere Person zu Hause erforderlich. Das Laden des Akkus an einem USB-Anschluss ist für ältere Menschen sicher nicht selbstverständlich. Grundsätzlich aber ist das Verfahren nicht von der Geschicklichkeit der Hände abhängig. Für die Anwendung der Spüllösung ist es wichtig, das kein unkontrollierter Schluckvorgang oder ein ungenügender Verschluss des Kehldeckels vorliegt. Prinzipiell kann dieses Verfahren die "klassische" Mundhygiene nicht ersetzen, es stellt keine "chemische Zahnbürste" dar, sondern ist als
zusätzliche Maßnahme (!) konzipiert. Da vollautomatische Zahnbürsten derzeit noch keine ausreichende Reinigungsleistung erbringen (siehe Blog "Wie gut sind vollautomatische Zahnbürsten?"), bleibt die Vision einer vollautomatisierte Desinfektion und Reinigung für Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen derzeit leider noch ein Zukunftstraum.
Die
Kosten des Systems sind mit etwas über 200.-€ für das Gerät und 30 Farbstofftabletten sowie ca. 95 Cent pro Lumorinse-Tablette im Nachkauf nicht unerheblich, aber vertretbar. Der
Zeitaufwand
von 15-20 Minuten pro Anwendung muss berücksichtigt werden. Allerdings kann man, da das System mobil ist, in dieser Zeit lesen, fernsehen oder auch andere Tätigkeiten zu Hause ausführen.
Für den Erfolg der Methode ist die regelmäßige Anwendung nach einem definierten Schema (s. o.) erforderlich. Jede Anwendung stellt einen kleinen Schritt dar, auf den weitere folgen müssen. Das Gerät kann nicht bei einmaliger Anwendung alle Bakterien dauerhaft aus dem Mund "zaubern". Auch heilt eine bestehende Parodontitis (Zahnbetterkrankung) nicht durch die alleinige Anwendung dieses Systems aus. Es sollte deshalb in Absprache mit dem behandelnden Zahnarzt und im Rahmen einer systematischen zahnärztlichen Behandlung eingesetzt werden.
Mein Fazit: Eine interessante Neuerung aus dem hohen Norden. Wenn sich weiterhin positive Studienergebnisse zeigen, wäre dies eine "Wiederbelebung" des aPDT-Verfahrens. Die Methode kann ein wertvoller Baustein der Nachsorge nach einer "Zahnfleischbehandlung" sein.
Der Traum von einer komplett vollautomatisierten Zahnpflege und Taschendesinfektion ist derzeit aber noch nicht realisiert, weil vollautomatische Zahnbürstensysteme in geeigneter Qualität noch fehlen.
(siehe Blog "Wie gut sind vollautomatische Zahnbürsten?", Titel in der Suchfunktion des Blogs eingeben, dann wird der Beitrag angezeigt).
Anmerkung zu möglichen Interessenkonflikten: Ich habe das Lumoral-Set als Zahnarzt zum Vorzugspreis von 118,94 € kaufen können. Der Bericht ist ohne Unterstützung oder Absprache mit der Firma Lumoral verfasst worden und spiegelt nur meine Erfahrung bzw. Meinung wieder. Lediglich die gekennzeichneten Abbildungen wurden mit Genehmigung der Firma Lumoral verwendet.