Titandioxid
(TiO2) ist, wie der Name schon sagt, das Oxid des Elementes Titan, das als Weißpigment seit langem in Farben und Lacken Verwendung findet. Wer sich schon einmal in der Ölmalerei versucht hat, kennt es auch als "Titanweiß" und schätzt sein optisches Deckvermögen . Titandioxid ist ein "Allrounder" und aus der industriellen Wirtschaft kaum wegzudenken. Der Verband der chemischen Industrie verteidigt den Werkstoff nachdrücklich in einer Stellungnahme aus dem Jahr 2016:
https://www.vci.de/langfassungen/langfassungen-pdf/2016-07-04-vci-stellungnahme-titandioxid.pdf
Im Lebensmittelbereich
wird es unter dem Kürzel E171
als Lebensmittelzusatzstoff verwendet, um glänzende, helle und ansprechend wirkende Oberflächen, zum Beispiel bei Kaugummi zu erzeugen.
In Zahnpasten, die keine Lebensmittel, sondern Kosmetika sind, wird es unter der Bezeichnung CI 77891
zugesetzt (CI steht für den europäischen Color Index für Kosmetika). Auch hier ist die Funktion der Titandioxids, eine gleichmäßig weiß glänzende Oberfläche zu erzeugen. Wie auf dem obigen Bild verbinden wir damit den Eindruck von Sauberkeit, Reinheit und Wertigkeit. Eine medizinische Funktion hat es nicht und wäre deshalb auch grundsätzlich entbehrlich.
Die Europäische Lebensmittelagentur EFSA
hat am 6. Mai ihre Sicherheitsbewertung für den Lebensmittelzusatzstoff Titandioxid (E171) auf Ersuchen der Europäischen Kommission im März 2020 aktualisiert. Im Rahmen der Risikobewertung betrachtet die EFSA Titandioxid als Lebensmittelzusatz nicht mehr als völlig unbedenklich. Die Studienlage ist allerdings nicht eindeutig. Die zugrunde liegenden Tierversuche sind nicht ohne weiteres auf Menschen übertragbar. Die Europäische Kommission muss nun entscheiden, ob E171 in Lebensmitteln verboten wird.
Informationen zu dieser Risikobewertung finden sie unter:
https://www.efsa.europa.eu/de/news/titanium-dioxide-e171-no-longer-considered-safe-when-used-food-additive#h%C3%A4ufig-gestellte-fragen-%E2%80%93-sicherheitsbewertung-von-titandioxid-e171-durch-die-efsa-2021
Seit der Veröffentlichung der EFSA verunsichern Überschriften wie "Krebsverdacht in Arznei und Zahncreme" (HNA 18.05.2021, S. 12) in der Presse die Öffentlichkeit und suggerieren, das ein Zusammenhang zwischen Krebsentstehung und dem Gebrauch von Zahnpasta wissenschaftlich erwiesen oder wahrscheinlich sei. Ein gutes Beispiel für "Framing" in der Publizistik, aber definitiv unwahr. Tatsächlich geht es um den vorbeugenden Gesundheitsschutz bei Inhaltsstoffen für Lebensmittel.
Was hat das Ganze nun mit Zahnpasten zu tun?
Im juristischen Sinne zunächst erst einmal nichts, da Zahnpasten Kosmetika und keine Lebensmittel sind. Die Entscheidung der europäischen Lebensmittelagentur hat keine Auswirkungen auf Zahnpasten,
Auch sollte das Thema nicht mit der Problematik des Einatmens von "lungengängigen Feinstäuben" bzw. Nanopartikeln in der Luft verwechselt werden. Das verschiedenste Staubpartikel bei regelmäßiger Inhalation das Lungengewebe schädigen können, ist hinlänglich bekannt, aber nicht mit dem Verschlucken kleiner Teilchen gleichzusetzen. Als "lungengängig" werden alle Partikel bezeichnet, die kleiner als 2,5 µm sind. Die meisten Publikationen zum Thema "Nanopartikel" beziehen sich auf diese Problematik und haben mit Zahnpasta nicht zu tun. Allgemeine Informationen zu Nanoteilchen finden Sie unter:
https://www.nanowissen.bayern.de/nanowissen/nano_was_ist_das/index.htm
Ob Partikel, die in den Darm
gelangen, vom Körper auch resorbiert werden und dann gegebenenfalls Schaden anrichten können, hängt von vielen Faktoren ab. Für größere, durch die Verdauung nicht abbaubare Partikel wird in der Regel angenommen, das sie den Darm als Ballast durchqueren und unverändert bzw. ohne Interaktion mit dem Körper ausgeschieden werden. Problematische Eigenschaften werden aber Partikeln mit einer Größe von 1-100
nm
zugesprochen, den so genannte "Nanopartikeln". Diese können aufgrund ihrer Größe (bzw. "Kleinheit") die Darmwand durchqueren, sich in verschiedenen Strukturen anreichern und den Körper schädigen. Titandioxid kann in den verschiedensten Produkten als Nanopartikel, aber auch in deutlich größeren Partikeln als Farbpigment enthalten sein. Welche Größenordnung die Titandioxidzusätze in handelsüblichen Zahnpasten haben, kann ich derzeit nicht für einzelne Marken beantworten. Allerdings verweisen die Hersteller auf die Tatsache, das in Zahnpasta größere Pigmente eine bessere Farbwirkung haben und zudem auch günstiger sind. Die Firma Dentinox (Nenedent-Kinderzahncreme) gibt in einer Stellungnahme zur Titanoxidproblematik einen Tio2-Gehalt von
0,5%
und eine Größe von
>1 µm
an, verwendet also keine
TiO2-Nanopartikel. Die Kosmetik-Kette DM gibt an, das die kalkulierte Aufnahme von 0,002 mg/kg Körpergewicht/Tag durch Zahncreme aufgenommene Menge im Vergleich zur täglichen Gesamtexposition von rund 1 mg/kg Körpergewicht/Tag "vernachlässigbar gering" sei. Sie macht nur den 500sten Teil der Gesamtbelastung an TiO2 aus.
In der Praxis müssen wir davon ausgehen, das von einer erbsengroßen Menge Zahnpasta (etwa 0,25 g) maximal 10-20% verschluckt werden. Der Gehalt an TiO2 in der Zahnpasta dürfte im Bereich von maximal einem Prozent liegen. Ich empfehle aus Gründen des Kariesschutzes, nach dem Zähne bürsten nicht auszuspülen, sondern nur auszuspucken und den Zahnpastaschaum auf den Zähnen zu belassen. Auch bei mehrfacher täglicher Anwendung der Zahnpasta können so kaum relevante Mengen an Titandioxid in den Darm gelangen.
Im Jahre 2017 veröffentlichte die Universität Zürich
eine Studie, die zeigte, dass sehr kleine Titandioxidpartikel von 1-100 Nanometern (! nano, nicht mikro!)
von menschlichen Fresszellen (Makrophagen in Zellkulturen) aufgenommen und angereichert werden. In Tierversuchen mit "darmkranken" Mäusen verschlimmerte Titandioxid in der Nahrung die Entzündung im Darm. Die Forscher schlussfolgerten, dass Patienten mit chronischen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn Lebensmittel, Medikamente und auch Zahnpasta mit Zusätzen von Titandioxid vermeiden sollten.
Eine Zusammenfassung der Studienergebnisse finden Sie unter:
https://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/2017/Titandioxid-Nanopartikel-Darmentzuendungen.htm
Ich empfehle daher nur
Patienten mit chronischen Darmerkrankungen, möglichst auf Zahnpasten mit dem Zusatz von Titandioxid (CI 77891) zu verzichten.
Was kann der Käufer von Zahnpasta tun, wenn er vorsichtshalber dennoch Titandioxid vermeiden möchte?
Die schlechte Nachricht vorweg: Fast alle "weißen" Zahnpasten enthalten Titandioxid.
Ich persönlich werde meine Favoriten weiter verwenden, weil ich mir mit ihnen die Zähne putzen und sie nicht in größeren Mengen essen will. Wer Bedenken hat, kann nach dem Zähne putzen den Mund ausspülen, nimmt dafür aber gewisse Einbußen beim Kariesschutz in Kauf. Die zukünftige Entwicklung der Zahnpasten wird möglicherweise in Richtung TiO2-freier Produkte gehen, die im Bereich der Zahnpasten für Kinder schon erhältlich sind (s. u.).
Da Titandioxid weiß reflektiert, werden vermutlich andersfarbige bzw. eher transparente Produkte
diesen Zusatz nicht enthalten. Allerdings enthalten diese Produkte dann eventuell andere Farbstoffe. Beispiel: Die blaue meridol-Zahnpasta enthält kein TiO2, dafür aber Kupferphthalocyanin (CI 74160), die rote parodontax-Zahnpasta enthält Eisenoxidrot (CI 77491).
Zahnpasten, die weder Farbstoffe noch Titandioxid enthalten, sind optisch etwas gewöhnungsbedürftig, da sie durchscheinend transparent erscheinen. Beispiele sind meridol Pur 0%
oder Colgate smile for good. Beide Zahnpasten schmecken meiner Meinung nach für allerdings für jüngere Kinder zu scharf, hier sollten spezielle Zahnpasten für diese Altersgruppen verwendet werden.
Eine Übersetzung der auf der Zahnpastatube aufgedruckten Inhaltsstoffe finden Sie in der INCI-Datenbank unter:
https://www.haut.de/
Lesen Sie die europaweit einheitlich festgelegte Inhaltsliste (International Nomenclature of Cosmetic Ingredients, INCI-Liste) genau durch und achten Sie auf das Kürzel CI 77891 = Titandioxid. Sie listet alle Inhaltsstoffe in der Reihenfolge ihres Anteils am Produkt auf, gibt aber nicht die genaue Rezeptur wieder. Alles was hinter dem Fluoridanteil steht (max. 0,145%), ist nur in geringer Menge enthalten. Wenn der Anteil am Produkt unter 1% beträgt, dürfen diese Bestandteile allerdings untereinander in beliebiger Reihenfolge stehen. Beispiel:
Bei der Zahnpasta "elmex Kariesschutz professional" steht CI 77891 = Titandioxid an letzter Stelle, es kann also ein geringer Anteil von unter einem Prozent vermutet werden.
Folgende Produkte aus dem Hause GABA enthalten kein Titandioxid:
elmex Baby
elmex Kinder
elmex Junior
meridol Zahnfleischschutz
meridol Parodont Expert
meridol PUR
Der Käufer kann auf Produkte von Naturkosmetik-Herstellern
ausweichen: Diese
verzichten in der Regel auf Titandioxid-Zusätze. Wichtig ist es aber unserer Meinung nach, nur fluoridhaltige Produkte zu verwenden, da Kariesschutz durch Fluorid unverzichtbar ist.
Denttabs-Zahnputztabletten
enthalten keine Farbstoffe.
Die neue Formulierung der Aminomed-Kamillenblüten-Zahncreme
aus dem Haus Dr. R. Liebe enthält jetzt kein Titandioxid mehr.
Update 03-2022: Die neue Pearls & Dents-Zahnpasta (ebenfalls Firma Dr. R. Liebe) ist jetzt auch titandioxidfrei.